Tagebuch

Februar 2020

Mitte Februar habe ich einer Lesung gelauscht. Das Thema war Glück und hat mich eine ganze Weile beschäftigt. Der Professor behandelte das Thema eher psychologisch. Gibt es doch zwei verschiedene Thesen zu den ich später noch komme.

Auf die Frage des Professors zum Ende des Vortrages, was mich in den letzten 2 Tagen glücklich gemacht hatte, fand ich keine Antwort. Meine Begleitung Sandra meinte nur "na die Erbsensuppe war doch gut. Warst du da nicht glücklich das sie geschmeckt hat"? Ich hatte mich gefreut ja, doch so richtig glücklich im Sinne von Glück?
Auch nach 2 Wochen finde ich keine Begebenheit, welche mich wirklich glücklich gemacht hat. Doch ist das nun Besorgnis erregend? Ich glaube nicht, denn im Moment erfreue ich mich jeden Tag an den Meisen auf dem Hof, welche mein selbst zusammengestelltes Wildvogelfutter mögen. Oder die Momente, wo ich früh aufstehe und so denke, schmerzfrei, es wird ein guter Tag, alleine duschen, bisschen Haushalt, ein bisschen raus gehen kann mit meinem Begleiter Paul, dem Rollator oder einfach nur mit Brüderchen, Tantchen oder Freunde treffen.

Das sind für mich glückliche Momente. Ich glaube die Sichtweise auf den Begriff Glück ändert sich, wenn die Prioritäten plötzlich woanders liegen. Wenn das Leben einen mehr abverlangt als anderen. Glücklich bin ich immer wenn die Befunde okay sind. Nichts gewachsen ist, nichts Neues hinzu gekommen ist. Ich also mein Leben weiter so leben kann wie im Moment.

Mein größtes Glück jedoch ist mein Ehemann. Trotz der niederschmetternden Diagnose hat er mich geheiratet. Nach 13 Jahren Beziehungen sind wir nun seit 2 Jahren verheiratet, steuern jetzt in das 16.Jahr. Das hätten wir beide niemals gedacht. Der Wessi mit der Ossitante, Wiedervereinigung ganz privat. Doch wie in jeder Beziehung haben auch wir schon extrem Krisen hinter uns. 13 Jahre wo alles okay schien und seit 2 Jahren alles aus den Fugen gerät, ich dem Tod schon mehrfach von der Schippe gesprungen bin. Halten wir zusammen und kämpfen gemeinsam. Ihr seht, Glück hat für mich eine ganz andere Bedeutung als für euch.

Jedes genähte Teil, welches ich auch trage, macht mich glücklich. Jedes getöpferte Teil, auch wenn es noch so schief ist, erfreut mein Herz, wenn ich es in der Wohnung hinstelle. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass durch die ganzen Therapien (mehrfach Chemo, Lungen OP, Schlaganfall, Hirnmetastasen) mein Können nicht mehr das Alte ist. Briefe verstehen, darauf antworten, Telefonate führen, Anträge ausfüllen sind alles Sachen, welche mir sehr schwer fallen. Rechnen, Kleinigkeiten merken, mich zu artikulieren, alles Eigenschafen, welche mir verloren gegangen sind und ich mühsam wieder erlernen muss und immer noch lerne. Selbst das kneten der Tonmasse ist sehr anstrengend.

Auch ein Grund, warum ich mich wieder mit meiner Seite beschäftige. HTML Befehle schreiben, selbst gestalten, Kreativ sein, pures Glücksgefühl, vor allem, wenn es dann noch funktioniert. All die Aktivitäten helfen mir natürlich auch, meine gestörte Motorik zu verbessern, meine Synapsen im Gehirn zu aktivieren und neue entstehen zu lassen. Zum Schluss gebe ich euch nur noch die zwei Begriffe, welche in der Psychologie eine Rolle spielen und unter welchen Gesichtspunkten dieser Vortrag gehalten wurde. Das wären das hedonistische Glück und das eudaimonisches Glück Die Erklärung dazu erspare ich mir. Bei Interesse könnt ihr ja gerne Dr.Google fragen

März / April 2020 - das Corona Virus legt Deutschland lahm

leider auch mich. Normalerweise ist meine Woche ganz gut strukturiert. Montags Physio, Mittwochs Immuntherapie (aller 14 Tage) und Nachmittags der Besuch von Sandra, meiner Hospizbegleitung um dem tristen Alltag zu entkommen. Freitags war meist Marktbesuch und ab und an mal im Discounter einkaufen gehen. Alles schön zu Fuß mit Herby, meinem Rollator. Auch einfach mal unbedarft zu Aldi um Kleinigkeiten zu holen. Doch jetzt, nach Wochen der Isolation von der Außenwelt, ist auch mal genug. Ich hab da keine Lust mehr zu. Es ist so anstrengend. Außer meiner Krebsbehandlung sind meine sozialen Kontakte auf 0 geschraubt. Töpfern, spazieren gehen, quatschen - fällt alles aus. Selbst zu Aldi gehe ich nur noch, wenn es unbedingt nötig ist. Telefonieren, Whats Uuppen oder auch FB sind nicht das selbe wie jemanden treffen und gemeinsam paar Stunden zu verbringen. Wobei ich noch ganz gut dran bin, da mein Männel nicht auf Kurzarbeit ist. Die Frachtflieger sind weiterhin unterwegs und müssen auch in Leipzig be- und entladen werden. Ich glaub ich würde durchdrehen, wenn er 24/7 über Wochen hinweg zu Hause wäre. Leider schlägt mir die ganze Situation ganz schön auf die Psyche. Wobei ich zwar nicht depressiv bin, jedoch erste Anzeichen für ein Problem auftauchen. Kent ihr das, nicht aus dem Bett zu kommen? Bestimmt, doch in letzter Zeit häuft es sich, dass ich Nachmittags noch im Pyjama rum sitze, nur zum Essen wirklich aufstehe und dann sofort wieder das Bett aufsuche. Aufstehen, essen, hinlegen. Kein Antrieb, keine Lust zu nichts, einkaufen? Ach Schatz mach du mal. Essen kochen, bestell dir eine Pizza, ich hab kein Appetit. Kochen? Och nö, Haushalt nein Danke, rausgehen muss nicht sein. Es ist nicht nur für mich anstrengend, auch Jörg hat extrem zu kämpfen an solchen Tagen und macht sich obendrein noch riesige Sorgen. Heute ist zum Beispiel ein guter Tag. Da muss ich mich nicht aufraffen, da geht alles einfach von alleine. Da kann ich zur Physio gehen wegen neuer Termine, mit der Bahn in die Stadt fahren, danach Essen kochen. Da kommt die Freude weil die Sonne scheint, auch wen es trotz allem sehr frisch ist. Seit Wochen wollte ich die Website weiterbauen, doch erst heute hatte ich wirklich den Antrieb dafür. Das einzig gute an der ganzen Sache, ich bin kein Aussenseiter mehr, wenn ich krankheitsbedingt einen Mund-Nasenschutz trage.